Eine Frage der Logistik

Ohne Schutzgarantie. 2020. Digitale Fotografie: Lino Peltzer.

Schlaftrunken und in wohlige Dunkelheit gehüllt versuchte ich gestern im nächtlichen Zwiegespräch das Ausmaß der Corona-Katastrophe wenn schon nicht zu begreifen, dann doch zumindest zu umreißen. Bevor ich vollends wegdämmerte, beschwor ich den nächsten Morgen, vielleicht ein klareres Bild zu offenbaren – auch darüber, wie wir wohl den Sommer verbringen werden. Im Traum schließlich lebten wir mit indischen Freunden zusammen und rätselten über die schwergängigen Griffe einer wunderbaren Fensterfront, die auf eine große Terasse ging. Wirklich öffnen ließ sich nur eine kleine schmale Tür, charmant, aber zu eng für meine indische Freundin, die draußen stand und mit ihrer mächtigen Oberweite einfach nicht hindurch passte. Es war lustig und schlussendlich kam sie dann doch hinein und wir hinaus auf die Terasse.

Im freien Fall Nr. 1. 2020. Digitale Fotografie: Lino Peltzer.

Heute Morgen, am Donnerstag den 19.3.2020 wollte ich hier in Berlin-Schöneberg schnell vor dem großen Ansturm in den Supermarkt . Auf dem Weg kam ich an dem Schaufenster der Künstlerin Pia Fischer vorbei. Sie ist bekannt für ihre Arbeiten aus Textiletiketten und dafür, dass ihr die Ideen nie ausgehen.

Einkauf bei Pia Fischer am 19.3.2020. Ladengeschäft in der Eisenacher Str. 69, 10823 Berlin. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

Pia Fischer hat gerade mit der Produktion von Gesichtsmasken ohne Schutzgarantie begonnen, die sie über ein Fenster aus ihrem Laden heraus verkauft. Sie hofft, die Krise zu überstehen, ohne auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. Einen Kredit aufnehmen? Das kommt für mich nicht in Frage, sagt sie. Den muss ich doch zurückzahlen! Ich habe schon immer geschafft, mich aus eigener Kraft über Wasser zu halten. Viel schlimmer dran sind da doch andere Künstler, die Leute vom Film z.B., von denen viele jetzt insolvent gehen, weil die Produktionen eingefroren werden. Als sie das sagt, muss ich an eine Petition denken, mit der Freiberufler und Kunstschaffende aus ganz Deutschland um Unterstützung in der Krise bitten. Mit der Masken-Produktion macht Fischer etwas ähnliches: sie appelliert an ihre Kunden, sie in der Krise zu unterstützen!

Packen wir’s an! 2020. Digitale Fotografie: Lino Peltzer

Ich ging weiter zum Einkaufen, beim Bäcker haben wir Schlange stehen mit 1,5m Abstand gespielt, was sich ganz gut anliess. Auch der Abstand zum Verkäufer liess sich einhalten. Nicht so erfolgreich war ich im Supermarkt. Weder andere Kunden, noch das mit dem Einräumen von Regalen beschäftigte Personal ließen sich mit dem von der Kanzlerin gestern in ihrer historischen Ansprache empfohlenem Mindestabstand umrunden. Vor der Kasse gab es Diskussionen. Um dort an 3 Kassen anzustehen, gibt es einen Gang von 1,5m Breite zwischen den Regalen mit Waren. Niemand hielt sich an den empfohlenen Abstand. Die Einen sagten auf meine Bitte, doch zurückzutreten: Ja, genau! Die Anderen aber rückten immer wieder auf. Als ich meine Bitte, doch Abstand zu halten, wiederholte, kam ich mir oberlehrerinnenhaft vor, allgemeines Grummeln verbunden mit einem deutlichen Unwillen war die Reaktion. Da setzte ich noch eins drauf und sagte: ich gehöre zur Risikogruppe und bitte Sie inständig, Abstand zu halten. Schlagfertig erwiderte die Dame, die instiktmäßig drängelte, warum geht dann niemand für Sie einkaufen und nach kurzem Innehalten, das tue ich ja auch und schaute sich irritiert um.

Im freien Fall Nr. 2. 2020. Digitale Fotografie: Lino Peltzer.

Menschen scheinen das Schlange-Stehen von Natur aus mit dem Drängeln zu verbinden und auf dem Nachhauseweg spielte ich durch, wie ein ideales Einkaufen in Corona-Zeiten aussehen könnte. Ich stellte mir vor, wie ich Online mit meiner Supermarkt-App ein Zeitfenster buche und eine Nummer bekomme. Ich gehe mit meiner Nummer in der vorgesehenen Zeit in den Supermarkt und alle anderen Einkäufer halten Abstand. Das Einräumen der Regale findet ausserhalb der Verkaufszeiten statt oder das Personal sperrt die Gänge ab, damit man sich nicht an ihnen vorbeischlängeln kann. Für Senioren gibt es exklusive Zeitfenster. An der Kasse stehen 6 Leute mit Abstand Schlange, für jeden, der den Laden verlässt, kommt ein neuer Kunde rein. Öde, oder? Aber alles eine Frage der Logistik! Schließlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns darauf einzulassen.

Sich und andere schützen, nur wie? 2020. Digitale Fotografie: Lino Peltzer

Link zu Pia Fischer

Wer sich über Sars-CoB-2 gut informieren möchte, dem empfehle ich das Coronavirus-Update des Virologen Christian Drosten, ein Podcast des NDR.

Link zur Petition: HILFEN FÜR FREIBERUFLER UND KÜNSTLER WÄHREND DES „#CORONA-SHUTDOWNS“

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Was bedeutet eigentlich: Logistik, die;

  • mathematische Logik (1) Herkunft: logistikḗ (téchnē) = Rechenkunst, zu: logistikós = zum (Be)rechnen gehörend, zu: lógos, Logos. – (2) Planung, Bereitstellung und Einsatz der für militärische Zwecke erforderlichen Mittel und Dienstleistungen zur Unterstützung der Streitkräfte; Versorgung[sapparat] einer Truppe. Herkunft: französisch logistique < spätlateinisch logisticus = die Finanzverwaltung betreffend < griechisch logistikós = zum (Be)rechnen gehörend. Gebrauch: Militär. – (3) Gesamtheit aller Aktivitäten eines Unternehmens, die die Beschaffung, die Lagerung und den Transport von Materialien und Zwischenprodukten, die Auslieferung von Fertigprodukten, also den gesamten Fluss von Material, Energie und Produkt betreffen. Herkunft: englisch logistics (Plural) < französisch logistique = Logistik. Gebrauch: Wirtschaft.
    • Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Logistik am 18.3.2020, 12:15h