Mauerfall Nr. 1

Marc Peltzer, 2013, Spiegelung Nr. 1, Detail, digitale Fotografie. ©Marc Peltzer

Die Nacht des Mauerfalls verschlief ich vollkommen. Den aufgeregten Anruf meiner Freundin, die meinte Mensch, wach auf, Du musst unbedingt mit an die Mauer kommen, die ist offen, wir können einfach rüber gehen und die Ossis können das auch, erwiderte ich schlaftrunken mit den Worten lass mich in Ruhe, ich muss morgen früh raus. Anruf und Knattern der Trabbis auf dem Hohenzollerndamm, an dem ich zu der Zeit wohnte, baute ich in meine Träume ein. Den nächsten Morgen ließ ich das Radio aus, was seltsam ist, schließlich bin ich leidenschaftliche Radiohörerin, aber ich rätselte, was ich denn da bloß alles geträumt hatte und fand mich einfach nicht zurecht!

 

Marc Peltzer, 2013, Spiegelung Nr. 1, Detail, digitale Fotografie. ©Marc Peltzer

Savignyplatz

 

Weiterhin nachdenklich und nichtsahnend lief ich von Wilmersdorf nach Charlottenburg zum Savignyplatz, um das Café, in dem ich jobbte, zu öffnen. Maschinen anmachen, Obst und Gemüse kaufen, Butterwürfelchen schneiden und auf Eis legen, Edith Piaf hören, Croissants und Baguettes in Empfang nehmen, die ersten Gäste bedienen, dazu war ich gerade noch in der Lage. Ähnlich in den Wolken verlief mein Arbeitstag, an dem mein Blick vom Thresen raus auf den Bürgersteig mir ein weiteres Mal bewies, dass irgendetwas nicht so recht stimmte heute mit mir, denn viele Leute, die da aus der S-Bahn kommend entlang gingen, hatten so auffällig andere Schuhe an!

 

Marc Peltzer, 2013, Spiegelung Nr. 1, digitale Fotografie. ©Marc Peltzer

Kaffee komplett

 

Später, kurz vor Schichtende bediente ich ein Pärchen mittleren Alters, die sich fein rausgeputzt hatten, irgendwie sehr altmodisch mit Schlips, Hut, Kostümchen, gewienerten Schuhen und so weiter. Mit strahlenden Gesichtern bestellten sie bei mir einen Kaffee komplett. Ich war vollkommen verdattert und ließ mir erklären, was das denn sei: Kaffee, extra Milch und Zucker! Ich brachte jedem ein Kännchen, das ging aufs Haus und fragte, ob ich mich dazu setzen dürfte, um zu reden, endlich zu reden über das, was uns: den Beiden und mir heute geschehen ist.

 

Sonderaktion

Liebe Leser*innen,

zum 30-jährigen Jubiläum das Mauerfalls mache ich eine Sonderaktion. Auf Der fremde Faden entsteht schon jetzt ein Netz von Geschichten über den Mauerfall, mit dem wir gemeinsam diesen bedeutenden Tag begehen können! Damit das Netz zum Mauerfall wachsen kann, brauche ich eure Hilfe: erzählt mir, wie ihr den Mauerfall erlebt habt und/oder was ihr damit verbindet. Es müssen nicht nur Zeitzeugen sein, die sich äußern. Wenn ihr wollt, interviewe ich Euch, oder aber ihr schreibt selber einen Text, den ich dann redaktionell überarbeite. Und denkt daran: selbst Beiläufiges hat seinen Charme, zögert also nicht, davon zu erzählen. Ich mache dann zu jedem Artikel die Fotos dazu. Für mich ist es eine große Ehre und Freude, eure Geschichten zum Mauerfall für Der fremde Faden zu veröffentlichen. Schickt mir eine E-Mail an Maja Peltzer, Der fremde Faden, wenn ihr mitmachen wollt.

Eure Maja Peltzer