Zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls veröffentlicht Der fremde Faden eine Reihe mit Texten und Interviews von und mit Zeitzeugen, illustriert mit aktuellen Bildern des ehemaligen Mauerverlaufs.
Pendeln zwischen Ost und West
Meine Abitursreise machte ich 1961 nach Berlin und bei unserer Ankunft am Bahnhof-Zoo waren es lallende Betrunkene, die uns als erste von der neugebauten Mauer erzählten. Als wir daraufhin an die Mauer gingen, sahen wir die viersprachigen Schilder und waren entsetzt.
1964 schließlich zog ich nach West-Berlin und brauchte als „Westler“ noch kein Visum zu beantragen, um auf die andere Seite zu kommen. Wie man vor 1961 vollkommen problemlos von dem einen in den anderen Sektor wechseln konnte, erzählten mir später meine ostberliner Freunde, die teilweise sogar im Westen gearbeitet und ihre Arbeit durch den Mauerbau verloren hatten. Beim Pendeln zwischen Ost und West der Stadt schmuggelten sie manchmal eine Tüte gemahlenen Kaffees unterm Mantel und hatten Angst, von den Vopos angehalten zu werden. Die aber ignorierten den Duft, vielleicht weil auch sie etwas schmuggelten, wenn sie in Zivil vom einen in den anderen Sektor wechselten.
Molle mit Korn
West-Berlin war für mich die große Freiheit: es gab keine Sperrstunde und vor 4 Uhr war ich meist nicht zu Hause. Ich ging zu Lesungen und Jazzkonzerten, nachts schwamm ich im Wannsee, während Kaninchen über den Strand wetzten, aß Curry-Wurst, schlenderte durch die Straßen und bewunderte alte Häuser und Bäume in der spärlichen Beleuchtung der Gaslaternen. In den Berliner Speisekneipen gab es Aal-Grün oder Eisbein mit Erbspüree und ich stellte fest, Berliner können keinen Wein trinken. Wein bestellen bedeutete hier nur: wolln Se nen Roten oder nen Weißen, letztlich ging ich über zur Molle mit Korn.
Plumpsklo im Durchgang zum Hof
Meine erste Wohnung halfen die Nachbarn einrichten, schließlich kam ich nach Berlin mit fast Nichts. Tisch und Stühle wurden eilends aus Keller und Dachboden hergebracht, ein Regal aus Brettern und Ziegelsteinen gebaut, der Schrank getrödelt, damit das Mädel was Anständiges zum Wohnen hat. Wohnungen und Bezirke wechselte ich mehrfach, es ging von Zehlendorf über Steglitz nach Kreuzberg. Viele hatten ein Klo auf halber Treppe, manche sogar ein Plumpsklo im Durchgang zum Hof, ein Innenklo war schon gehobener Standard, zum Waschen hatte man eine Schüssel und unter die Brause ging man im Schwimmbad, wo man auch eine Badewanne mieten konnte.
Biermanns Ausbürgerung
Ich kannte einige Ostleute, die meisten waren aus der Kulturszene. Sie äußerten sich sarkastisch und kritisch gegenüber dem Sozialismus und haben ihre Witze über die Kulturpolitik der DDR gemacht. Gleichzeitig haben sie ihre eigenen Geschichten erzählt und auch dann gelacht, wenn ein Buch mal wieder nicht im Osten, dafür aber im Westen erscheinen durfte. Mit der Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann spannte sich 1976 ihre Situation erheblich an. Einigen wurde ein 3-Jahres Visum für den Westen ausgestellt, vielleicht in der Hoffnung, dass die gleich drüben blieben. Der DDR-Staat war froh, sie loszuwerden. Wer nicht in den Westen gehen, sich aber auch nicht von der Petition distanzieren und seine Unterschrift zurück ziehen wollte, war starken Repressalien bis hin zu Berufsverbot ausgesetzt. Wieder mal sollten die kritischen Stimmen der Intellektuellen zum Verstummen gebracht werden.
An der Oberbaumbrücke
Als wir am 9. November 1989 aus den Nachrichten vom Mauerfall erfuhren, machten wir uns mit meinem 8-jährigen Sohn vom Rüdesheimer Platz auf nach Kreuzberg zur Oberbaum-Brücke. Dort kamen die Leute massenweise von Friedrichshain zu Fuß herüber und der Ansturm war so groß, dass wir gar nicht auf die andere Seite gingen, sondern einfach stehen blieben und guckten. Stimmengewirr, ferne Trompetenklänge, aufgeregte Rufe, das Wort Wahnsinn und der Satz wird ja wohl hoffentlich aufbleiben, überwältigten uns. Und während die Trompete immer lauter wurde, redeten wir mit einigen Ostberlinern, die da kamen. Wir wollten mit ihnen anstossen und da sie keine D-Mark besaßen, luden wir sie auf ein Bier ein, das wir bei den türkischen Lädchen am Schlesischen Tor gekauft hatten. Viele kamen aus Friedrichshain und manche sogar aus Schöneweide. Schließlich sahen wir, dass die Leute auf der Brücke Reihen gebildet und dazwischen eine große Lücke frei gelassen hatten. In deren Mitte lief mit gemessenem Schritt ein einzelner Trompeter. Er schmetterte sein Lied, dass es einem durch Mark und Bein ging.
Trabbiklopfen, rote Rosen und Mauerspechte
Natürlich dominierte die folgenden Tage das Thema der Grenzöffnung auch im Fernsehen und ich erinnere insbesondere die Berliner Abendschau vom 10. November 1989. Als wir dann am 11.11. Abends ein zweites Mal nach Kreuzberg, diesmal zur Schillingbrücke fuhren, wurden wir Zeugen vom Ritual des Trabbiklopfens: die am Grenzübergang nur langsam voran kommenden Trabanten wurden dabei mit Schlägen auf das Dach begrüßt. Und da es der 11.11. war, empfingen in rote Samtkostüme gekleidete Karnevalisten aus Neukölln die Fußgänger mit roten Rosen.
Auch darauf fuhren wir öfter mit den Rädern an die Mauer, die Kinder hatten Hämmerchen dabei und schlugen Stücke aus ihr heraus, um sie zur Erinnerung zu behalten. Überhaupt erschallte Berlin in diesen Tagen, in denen die Mauer abgebaut wurde, vom Klopfen der Mauerspechte.
Nach der Wende
Ich hatte auch Kollegen aus Ost-Berlin und hörte häufig Klagen darüber, dass wir Westler es alle besser gehabt hatten. Es kam zu konfliktreichen Treffen bei der Zusammenführung unserer kirchlichen Organisation und nur allmählich wurde die Stimmung besser. Aber selbst nach ein, zwei Jahren noch brach eine Kollegin, die in der DDR aufgewachsen war, in einer ruhigen Minute in Tränen aus. Ihre Erschütterung darüber, wieviel besser unser Leben im Westen gewesen war und dass sich in der DDR alles so viel komplizierter gestaltete, war groß. Sich selbst helfen und improvisieren musste man und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was wir so geschafft haben, waren ihre Worte und nicht selten schwang in diesen Gesprächen etwas Vorwurfsvolles mit.
Mein Dank gilt der Zeitzeugin Kristin, die sich gerne für diesen Text interviewen ließ.
Text und Bilder: Maja Peltzer
Wer gerne für eine Veröffentlichung auf Der fremde Faden über den Mauerfall einen Text schreiben oder interviewt werden will, schreibt mir bitte eine E-Mail an Maja Peltzer!
Für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Verlauf der ehemaligen Berliner Mauer kommen Sie hier auf das BerlinOnline-Portal.
Liebe Leser*innen,
unterstützen Sie mich bei der Arbeit an Der fremde Faden mit einer Zahlung ihrer Wahl und tragen Sie so dazu bei, dass in diesem Raum ästhetischer Reflexion auch Fragen zur Wiedervereinigung, Freiheit und zu der diktatorischen Vergangenheit Deutschlands einen Platz finden! Vielen Dank – Maja Peltzer, Herausgeberin von Der fremde Faden.
Via PayPal zB.mit 2,90 € / 5,00 € / 10,00 €
Oder per Überweisung an: Kontoinhaberin Maja Peltzer, IBAN DE57 5108 0060 0035 3073 04, BIC DRESDEFF510 (Dresdner Bank Wiesbaden.)
Haben Sie Fragen zu Zahlungen und Rechnungen, dann klicken Sie hier!