Mauerfall Nr. 3

Zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls veröffentlicht Der fremde Faden eine Reihe mit Texten und Interviews von und mit Zeitzeugen, illustriert mit aktuellen Bildern des ehemaligen Mauerverlaufs.

Die Berlin-Besucher 2019, Blick vom SAGE-Beach über die Spree auf Baustellen an der Mühlenstrasse, bemalte Mauerreste und den fertiggestellten Neubau an der ehemaligen Bommery-Brücke. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

 

Pendeln zwischen Ost und West

 

Meine Abitursreise machte ich 1961 nach Berlin und bei unserer Ankunft am Bahnhof-Zoo waren es lallende Betrunkene, die uns als erste von der neugebauten Mauer erzählten. Als wir daraufhin an die Mauer gingen, sahen wir die viersprachigen Schilder und waren entsetzt.

1964 schließlich zog ich nach West-Berlin und brauchte als „Westler“ noch kein Visum zu beantragen, um auf die andere Seite zu kommen. Wie man vor 1961 vollkommen problemlos von dem einen in den anderen Sektor wechseln konnte, erzählten mir später meine ostberliner Freunde, die teilweise sogar im Westen gearbeitet und ihre Arbeit durch den Mauerbau verloren hatten. Beim Pendeln zwischen Ost und West der Stadt schmuggelten sie manchmal eine Tüte gemahlenen Kaffees unterm Mantel und hatten Angst, von den Vopos angehalten zu werden. Die aber ignorierten den Duft, vielleicht weil auch sie etwas schmuggelten, wenn sie in Zivil vom einen in den anderen Sektor wechselten.

 

Die Berlin-Besucher 2019, Nr. 2. Die Mutter betrachtet ein Foto im Schaufenster des geschichtsträchtigen Taut-Hauses am Engelbecken. Das Foto von 1989 zeigt  die Grenzsperranlage Leuschner- Ecke Engeldamm kurz nach dem Mauerfall. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

 

Molle mit Korn

 

West-Berlin war für mich die große Freiheit: es gab keine Sperrstunde und vor 4 Uhr war ich meist nicht zu Hause. Ich ging zu Lesungen und Jazzkonzerten, nachts schwamm ich im Wannsee, während Kaninchen über den Strand wetzten, aß Curry-Wurst, schlenderte durch die Straßen und bewunderte alte Häuser und Bäume in der spärlichen Beleuchtung der Gaslaternen. In den Berliner Speisekneipen gab es Aal-Grün oder Eisbein mit Erbspüree und ich stellte fest, Berliner können keinen Wein trinken. Wein bestellen bedeutete hier nur: wolln Se nen Roten oder nen Weißen, letztlich ging ich über zur Molle mit Korn.

 

 

Der Blick vom Getränkehandel an der Spree 2019. Geradezu die  Schillingbrücke und gegenüber der Yaam-Beachclub. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

 

Plumpsklo im Durchgang zum Hof

 

Meine erste Wohnung halfen die Nachbarn einrichten, schließlich kam ich nach Berlin mit fast Nichts. Tisch und Stühle wurden eilends aus Keller und Dachboden hergebracht, ein Regal aus Brettern und Ziegelsteinen gebaut, der Schrank getrödelt, damit das Mädel was Anständiges zum Wohnen hat. Wohnungen und Bezirke wechselte ich mehrfach, es ging von Zehlendorf über Steglitz nach Kreuzberg. Viele hatten ein Klo auf halber Treppe, manche sogar ein Plumpsklo im Durchgang zum Hof, ein Innenklo war schon gehobener Standard, zum Waschen hatte man eine Schüssel und unter die Brause ging man im Schwimmbad, wo man auch eine Badewanne mieten konnte.

Ein Berliner Hinterhof 2019. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

Biermanns Ausbürgerung

 

Ich kannte einige Ostleute, die meisten waren aus der Kulturszene. Sie äußerten sich sarkastisch und kritisch gegenüber dem Sozialismus und haben ihre Witze über die Kulturpolitik der DDR gemacht. Gleichzeitig haben sie ihre eigenen Geschichten erzählt und auch dann gelacht, wenn ein Buch mal wieder nicht im Osten, dafür aber im Westen erscheinen durfte. Mit der Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann spannte sich 1976 ihre Situation erheblich an. Einigen wurde ein 3-Jahres Visum für den Westen ausgestellt, vielleicht in der Hoffnung, dass die gleich drüben blieben. Der DDR-Staat war froh, sie loszuwerden. Wer nicht in den Westen gehen, sich aber auch nicht von der Petition distanzieren und seine Unterschrift zurück ziehen wollte, war starken Repressalien bis hin zu Berufsverbot ausgesetzt. Wieder mal sollten die kritischen Stimmen der Intellektuellen zum Verstummen gebracht werden.

An der Oberbaumbrücke

 

Die Oberbaumbrücke 2019 vom May-Ayim-Ufer aus. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

 

Als wir am 9. November 1989 aus den Nachrichten vom Mauerfall erfuhren, machten wir uns mit meinem 8-jährigen Sohn vom Rüdesheimer Platz auf nach Kreuzberg zur Oberbaum-Brücke. Dort kamen die Leute massenweise von Friedrichshain zu Fuß herüber und der Ansturm war so groß, dass wir gar nicht auf die andere Seite gingen, sondern einfach stehen blieben und guckten. Stimmengewirr, ferne Trompetenklänge, aufgeregte Rufe, das Wort Wahnsinn und der Satz wird ja wohl hoffentlich aufbleiben, überwältigten uns. Und während die Trompete immer lauter wurde, redeten wir mit einigen Ostberlinern, die da kamen. Wir wollten mit ihnen anstossen und da sie keine D-Mark besaßen, luden wir sie auf ein Bier ein, das wir bei den türkischen Lädchen am Schlesischen Tor gekauft hatten. Viele kamen aus Friedrichshain und manche sogar aus Schöneweide. Schließlich sahen wir, dass die Leute auf der Brücke Reihen gebildet und dazwischen eine große Lücke frei gelassen hatten. In deren Mitte lief mit gemessenem Schritt ein einzelner Trompeter. Er schmetterte sein Lied, dass es einem durch Mark und Bein ging.

 

Die Berlin-Besucher 2019, Nr. 3. Sie lesen die Informationstafel an der Geschichtsmeile Berliner Mauer am Grenzübergang Oberbaumbrücke. Auf der Tafel sind die  „Passierscheinabkommen“ zwischen dem Senat von Berlin (West) und der Regierung der DDR thematisiert, mit denen West-Berliner zu bestimmten Zeiten eine Besuchserlaubnis für den Ostteil der Stadt beantragen konnten. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

Trabbiklopfen, rote Rosen und Mauerspechte

 

Natürlich dominierte die folgenden Tage das Thema der Grenzöffnung auch im Fernsehen und ich erinnere insbesondere die Berliner Abendschau vom 10. November 1989. Als wir dann am 11.11. Abends ein zweites Mal nach Kreuzberg, diesmal zur Schillingbrücke fuhren, wurden wir Zeugen vom Ritual des Trabbiklopfens: die am Grenzübergang nur langsam voran kommenden Trabanten wurden dabei mit Schlägen auf das Dach begrüßt. Und da es der 11.11. war, empfingen in rote Samtkostüme gekleidete Karnevalisten aus Neukölln die Fußgänger mit roten Rosen.
Auch darauf fuhren wir öfter mit den Rädern an die Mauer, die Kinder hatten Hämmerchen dabei und schlugen Stücke aus ihr heraus, um sie zur Erinnerung zu behalten. Überhaupt erschallte Berlin in diesen Tagen, in denen die Mauer abgebaut wurde, vom Klopfen der Mauerspechte.

 

Die Reste der Berliner Mauer 2019, Zimmer- Ecke Wilhelmstraße. Blick auf Curry-Bude und Weltballon. Digitale Fotografie: Maja Peltzer.

Nach der Wende

 

Ich hatte auch Kollegen aus Ost-Berlin und hörte häufig Klagen darüber, dass wir Westler es alle besser gehabt hatten. Es kam zu konfliktreichen Treffen bei der Zusammenführung unserer kirchlichen Organisation und nur allmählich wurde die Stimmung besser. Aber selbst nach ein, zwei Jahren noch brach eine Kollegin, die in der DDR aufgewachsen war, in einer ruhigen Minute in Tränen aus. Ihre Erschütterung darüber, wieviel besser unser Leben im Westen gewesen war und dass sich in der DDR alles so viel komplizierter gestaltete, war groß. Sich selbst helfen und improvisieren musste man und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was wir so geschafft haben, waren ihre Worte und nicht selten schwang in diesen Gesprächen etwas Vorwurfsvolles mit.

 

Die radfahrenden Berlin-Besucherinnen 2019 auf der Schillingbrücke. Digitale Fotografie: Maja Peltzer

 

Mein Dank gilt der Zeitzeugin Kristin, die sich gerne für diesen Text interviewen ließ.
Text und Bilder: Maja Peltzer

Wer gerne für eine Veröffentlichung auf Der fremde Faden über den Mauerfall einen Text schreiben oder interviewt werden will, schreibt mir bitte eine E-Mail an Maja Peltzer!

Für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Verlauf der ehemaligen Berliner Mauer kommen Sie hier auf das BerlinOnline-Portal.

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