Die aufregende Welt der Dinge

Mit einer Lampe aus Birkenrinde von Anastasyia Koshcheeva wirbt die Zeughausmesse dieses Jahr.

Mit einer Lampe aus Birkenrinde von Anastasyia Koshcheeva wirbt die Zeughausmesse dieses Jahr. Foto © Stefan Reinberger

Der Verband Angewandte Kunst Berlin Brandenburg (AKBB) veranstaltet dieses Jahr vom 8.-11. Dezember im Innenhof des barocken Zeughauses von Berlin eine Kunsthandwerksmesse der ganz besonderen Art. Hier werden unter einem (wunderschönen Glas-)Dach unterschiedlichste Strömungen der Angewandten Kunst vereint. Die Zeughausmesse findet seit 12 Jahren im Deutschen Historischen Museum statt und hat eine sehr ansehnliche Webseite, auf der neuerdings Texte von mir zu finden sind. Im Zuge der engen Zusammenarbeit mit Friederike Maltz (Vorstandsmitglied des AKBB) und Sigrid Kohn (Organisationsleitung und Presse) sowie anhand meiner eigenen Recherchen konnte ich spannende Einsichten in die Debatten der zeitgenössischen Angewandten Kunst gewinnen.

Erinnerungen verflechten sich mit den Dingen

 

Wesentlich erscheint mir, dass die Angewandte Kunst durch den Hype um das Maker Movement und die Do-it-yourself-Bewegung Aufwind bekommt. Es ist ein Hype, der Ausdruck einer neuen Wertschätzung für alles Handgemachte in einer zunehmend virtuellen Welt ist. Die Faszination für das Werkstück eines Kunsthandwerkers und für das selbstgemachte Ding hat dabei womöglich den selben Ursprung. Vielleicht ist es das, was Edmund de Waal in seinem wunderbaren Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen beschreibt: dass irgendetwas in der Beschaffenheit der Objekte sich mit eigenen Erinnerungen verflechtet und dass man sich in ein Ding verlieben kann.

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Handwerk und Kunst

 

Aufgefallen ist mir überdies, dass die Anschauungen darüber, was einen angewandten Künstler ausmacht, unter ihresgleichen kaum unterschiedlicher sein könnten. Die Bandbreite reicht von dem präzisionsbesessenen Handwerker, der nach allen Regeln der Handwerks-Kunst etwas durch und durch Solides schafft, über die Konzeptorientierten bis hin zu denen, die der Sehnsucht nach dem haptisch erfahrbaren, nach dem durch und durch sinnlichen Gebrauchsgegenstand nachgehen und dabei alle Grenzen überschreiten. Allen gemein ist die Lust am Material und dessen meisterhafte Beherrschung.

Eine Hassliebe

 

Die Haltung der Angewandten Kunst zum Design ist streitbar. Viele Kunsthandwerker verteufeln die Designer, die Formen und Herstellungsverfahren für die Industrie entwickeln. Andererseits ist ihnen bewusst, dass Designer die Angewandte Kunst zur Inspiration brauchen und umgekehrt. Vielleicht handelt es sich hier um eine nicht aufzulösende Hassliebe? Will man etwas Schönes und Funktionierendes herstellen, braucht es Konzepte. Und die Prämisse form follows function stimuliert – auch mit ihrer ironischen Umkehrung function follows form – das Nachdenken über Ursache und Wirkung bei der Arbeit am Gebrauchsgegenstand.

Der sachliche Maschinenstil

 

Interessant ist der Blick zurück zu Muthesius, dem großen Designtheoretiker. Er forderte 1900 mit der Maschinenarbeit, wie sie nun einmal da ist, zu rechnen und zu versuchen, auch ihr ein künstlerisches Interesse abzugewinnen, auch sie in den Bereich der Kunst zu überführen. Seine Maxime war der sachliche Maschinenstil, mit dem nicht mehr versucht wird, Handarbeit nachzuahmen und damit eine Fälschung an der alten Kunst zu begehen. Er plädierte für Maschinenerzeugnisse, gegen die auch ästhetisch nichts mehr einzuwenden sein würde und die dann durch die ungemeine Billigkeit eine große Wohltat für die Menschheit bedeuten. 

Muthesius Vorstellung der unpersönlichen Formgebung industrieller Produkte war zeitgemäß. Für jene Kunsthandwerker, die bei ihrer individualistischen Arbeitsweise bleiben wollten, war sie aber nicht tragbar. Mit einem Anspruch auf die Allgemeingültigkeit des sachlichen Maschinenstils wäre ihnen nicht nur die Existenzgrundlage sondern auch die Existenzberechtigung entzogen worden. Folgerichtig kam es 1914 zum Bruch zwischen Werkbund und Muthesius, zur Trennung von Kunsthandwerk und Design.

Hocker mit Sitzfläche aus geflochtener Birkenrinde ©Anastasyia Koshcheeva

Hocker Taburet mit Sitzfläche aus geflochtener Birkenrinde von © Anastasyia Koshcheeva

Individualismus und Typus

 

Hinter Muthesius Utopie verbirgt sich allerdings eine Erkenntnis, die, gegen den Strich gelesen, das Kunsthandwerk aufwertet. Er vermutete, dass die Industrialisierung dem Individualismus ein Ende setzen und der Typus in Baukunst und Kunstgewerbe vorherrschen würde. Heute wissen wir, dass der Individualismus neben dem Typus fortbesteht, ja dass beide sich gegenseitig befruchten. Die Kette, den Schal, die Teetasse gibt es immer noch nicht, aber viele Tassen mit unterschiedlich guten Designs, aus industrieller wie handwerklicher Fertigung. Und es hat sich gezeigt, dass hochwertige Gebrauchsobjekte je nach kulturellem Kontext sehr verschieden sind.

Unpersönliches und Einzigartiges

 

Was hat sich also in den letzten 100 Jahren verändert in der Frage danach, wie wir die Objekte, mit denen wir uns umgeben, gestaltet haben wollen? Eines scheint doch klar: die unpersönliche Formengebung des industriell hergestellten Gebrauchsgegenstands, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts eingefordert wurde, hat die Einzigartigkeit von benutzbaren Kunstobjekten aus handwerklicher Produktion nicht überflüssig gemacht. Im Gegenteil erfahren das Unikat und das in aufwendigen Arbeitsschritten hergestellte Ding eine Renaissance. Offensichtlich wollen Menschen sich doch binden, binden an das Objekt.

Making-Of-Video von Anastasiya Koshcheeva

 

 

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Link zur Messe

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